Arbeiten wir in Zukunft alle selbstständig?

Arbeiten wir in Zukunft alle selbstständig?

Seit mehr als 2 Jahren bin ich nicht mehr angestellt, war zuerst mit dem Rucksack auf Reisen und anschließend habe ich damit begonnen, freiberuflich zu arbeiten. Wer mich kennt, weiß, dass das für mich nicht nur eine Formalie sondern ein Prinzip ist. Ich bin aus tiefster Überzeugung selbständig. Das ein oder andere Angebot im Laufe der letzten zwei Jahre, wieder in die Festanstellung zu wechseln, habe ich grundsätzlich ausgeschlossen - also ohne darüber nachzudenken, ob es vielleicht besser sein könnte.

Diese Haltung hat - zumindest für den Moment - mit grundsätzlichen Werten der Art selbständig zu arbeiten zu tun. Unabhängigkeit, Autonomie und Selbstbestimmung. Die Möglichkeit, immer nein sagen zu können. Und, nicht zuletzt, auch mit dem ewigen Vorurteil der Selbständigkeit, dass man “selbst und ständig” arbeitet. Arbeit ist für mich mehr als nur ein Job, um Catharina Bruns (workisnotajob.) zu zitieren - nämlich das wirkungsvollste Werkzeug für meine persönliche Entwicklung und die Gestaltung meiner ganz persönlichen Idee vom Leben. Schreibt man das Selbst in “Selbst und ständig” mit großem “S”, kann das Wortspiel auf einmal eine ganz andere Botschaft transportieren.

Selbständigkeit und New Work

Die Diskussion rund um New Work und die Zukunft der Arbeit ist sehr geprägt von den oben schon erwähnten Werten. Für das Individuum, also den Arbeitenden, soll Arbeit in Zukunft selbstbestimmter, und damit von Unabhängigkeit und Autonomie geprägt sein. Selbstverwirklichung und Kreativität in der Arbeit ist das über allem stehende Ideal. Soweit zu den ganz individuellen Vorteilen der Idee einer neuen Arbeitswelt.

Müssen wir in der Zukunft also alle selbständig arbeiten, um diese Werte in unserem Arbeitsleben zu verwirklichen? Wird die Selbständigkeit in unserer zukünftigen Arbeitswelt und damit für uns alle zum Normalzustand?

Um die Frage zu beantworten, müssen wir verschiedene Blickrichtungen einnehmen. Also nicht nur die des Arbeitenden, des Arbeitnehmers, sondern auch die des Arbeitgebers (ganz bewusst schreibe ich hier nicht Unternehmer sondern Arbeitgeber). Und vermutlich macht es auch Sinn unsere vorherrschende Arbeitsethik in die Betrachtung mit einzubeziehen, womit ich gerne beginnen will.

Industrielle Arbeitsethik

Die heute verbreitete Idee von Arbeit ist das Erbe der Industriegesellschaft. Über die letzten 150 Jahre, seit der industriellen Revolution, haben wir Konzepte für die Organisation unserer Arbeit entwickelt, die es davor noch nicht gab, und die heute unsere Idee von Arbeit bestimmen.

Z.B. ist die 40-Stunden-Woche bzw. der 8-Stundentag nicht mehr als die logische Folge des 3-Schichtmodells, dass sich über die Zeit entwickelt hat, um Maschinen in Fabriken über 24 Stunden am Laufen zu halten. Ein Konzept, das eigentlich nur für industrielle Arbeit geschaffen wurde, wurde im Laufe der Zeit auch auf Verwaltung, Dienstleistungen und Wissensarbeit übertragen. Auf Aufgaben also, die heute den überwiegenden Teil unserer Arbeit ausmachen. Die 40-Stunden-Woche ist also nicht viel mehr als eine immer noch vorhandene Konvention aus alten Zeiten. Teilweise hat man ja sogar den Eindruck, dass es sich dabei um ein Naturgesetz handelt.

Was ist Arbeit für dich?

So oder so ähnlich hat sich unsere Idee von Arbeit entwickelt. Überleg doch bitte mal, was Arbeit für dich ganz persönlich bedeutet.

Vielleicht einfach nur Broterwerb, irgendwie muss die Miete ja bezahlt werden, oder? Am besten noch verlässlich. Der “Besitz” eines sicheren Jobs? Also ein Arbeitsvertrag? Vielleicht sogar unbefristet? Und Kündigungsschutz natürlich? Oder am besten Beamtenstatus? Sicherheit also? Eine Art Lebenspartnerschaft, mit der du deine Zeit bis zur Rente verbringst?

Oder bist du eher der Typ Karriere? Klar braucht man natürlich Sicherheit in Form der Dinge von oben, das ist selbstverständlich, oder? Aber am Ende geht es doch um Weiterentwicklung, Lebenslauf-Design? Arbeit ist also da, um die nächste Stufe zu erklimmen? Nochmal für weniger Gehalt arbeiten geht natürlich gar nicht, oder? Vielleicht ist aber Geld auch nicht alles, man will ja gestalten? Und dafür braucht man eben auch die richtigen Kompetenzen, sonst geht’s ja nicht?

Ob Arbeit im Sinne einer sicheren Lebensgrundlage oder der eigenen beruflichen Karriere. Beide Konzepte sind mehr oder weniger Erbe der industriellen Entwicklung. Unternehmen haben sich zu großen arbeitsteiligen Organisationen entwickelt, wurden zu Arbeitgebern mit allen Aufgaben, die das mit sich bringt. Und auch Politik und Gewerkschaften haben für diese Zeit wichtige Errungenschaften erkämpft, die unsere heutige Idee von Arbeit und das Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern prägen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir diese aktuell vorherrschende, nennen wir sie “sozialdemokratische” Arbeitsethik, hinter uns lassen müssen. In immer dynamischeren Zeiten können Arbeitgeber immer weniger Sicherheiten und auch vorgezeichnete Karrierewege bieten. Das, was also oft als Ideal verfolgt wird - eine sichere und vielleicht auch karriereorientierte Arbeit - scheint am Ende nicht zielführend zu sein. Weder für Arbeitgeber noch für Arbeitnehmer.

"Mitarbeiter binden"

Arbeitnehmer haben sich also anzupassen an die unternehmerischen Herausforderungen der Zukunft? Nein, auch Arbeitgeber. Auf den ersten Blick vielleicht etwas verwundernd, aber eigentlich logisch, sind ja auch diese von der vorherrschenden Arbeitsethik beeinflusst.

Im Zuge des Fachkräftemangels stoße ich immer wieder auf Veranstaltungen oder Publikationen, in denen die Frage gestellt wird, wie man Mitarbeiter nicht nur finden sondern auch ans Unternehmen binden kann. Auch das ist vermutlich ein Erbe vergangener Zeiten. Wir sind daran gewöhnt, dass Mitarbeiter lange im Unternehmen bleiben sollen. Insbesondere dann, wenn sie sogar noch gut sind. Aber bleiben Mitarbeiter denn gut, ohne sich immer mal wieder neu zu beweisen?

Aus ganz persönlicher Erfahrung und Vorliebe hatten meine bisherigen beruflichen Wechsel zumindest nicht primär mit so etwas wie Unzufriedenheit zu tun. Das langfristige Bleiben bei einem Arbeitgeber war schlicht und einfach bis jetzt - und vermutlich auch zukünftig - keine Option. Dafür bietet die heutige Welt viel zu viele Möglichkeiten, die entdeckt werden wollen, und nicht nur die Welt im Sinne des Umfelds, vor allem brauche ich das ganz persönlich zur eigenen, inneren Weiterentwicklung, das Spiel mit der Veränderung des Umfelds.

Warum hinterfragt kaum jemand diese vermutlich gewohnte Haltung, Mitarbeiter unbedingt binden zu müssen? Vielmehr brauchen wir doch einen bewussten Umgang damit, dass professionelle Beziehungen Lebensabschnittsbeziehungen sind - mit der Tendenz, immer kürzer zu werden.

Warum sich also sich nicht genau darauf einlassen? Das würde bedeuten, dass sich (potenzielle) Mitarbeiter und Arbeitgeber, z.B. im Bewerbungsgespräch, nicht mit persönlichem Verkaufen, sondern vor allem mit der aktuellen Idee, ja vielleicht auch nur der aktuellen Situation auseinandersetzen, die jeweiligen Interessen versuchen zu verbinden, und so zumindest auf Zeit oder für ein Projekt zusammenfinden.

Projektorientierung und Freelancing

Und genau dann sind wir doch wieder beim Thema Selbständigkeit bzw. besser mit dem Wort “Freelancing” getroffen. Ich glaube an zukünftige Verhältnisse zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die viel mehr als bisher projektorientiert sind - und so auch wieder auseinandergehen. Das ist am Ende nichts anderes als das, was wir heute unter Freelancing verstehen. Wir entlasten mit einer solchen Herangehensweise Arbeitgeber, und - wieder aus ganz persönlicher Erfahrung - auch Arbeitnehmer. Der heilige unbefristete Arbeitsvertrag ist für mich zwischenzeitlich keine Entlastung mehr. Er war bei meinem Wechsel von der Festanstellung in die Freiberuflichkeit vielmehr eine Belastung. Das lag an der impliziten Eigenheit, dass so ein Arbeitsvertrag, ist er mal gekündigt, scheinbar kein Zurück mehr zulässt. Vermutlich hat das ja auch seinen Sinn - zumindest im “alten” Denken der Mitarbeiterbindung.

Nein, wir sollten uns auf befristete Arbeitsverhältnisse einlassen, sowohl aus Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmersicht. Dies schafft natürlich unternehmerische Vorteile, keine Frage. Es ist flexibler. Hat man schlechte Zeiten kann man auch mal Verträge nicht verlängern, bzw. das nächste Projekt nur dann anstoßen, sollte es aus unternehmerischer Sicht auch Sinn machen, und nicht nur dem Erhalt von Arbeit, oder vielmehr Beschäftigung, dienen.

Der Slogan "Arbeit schaffen" ist eins der wohl am meisten verbreiteten Argumente, die in Wahlkämpfen eingesetzt werden. Um Götz Werner, Gründer von dm, zu zitieren: Arbeit muss nicht geschaffen, sondern erledigt werden. Wir sollten nicht Wirtschaften mit der Maxime, das wir beschäftigt sind. Wie unsinnig ist denn das? Wir sollten wirtschaften der Ergebnisse wegen. Und ja, in unserer heutigen Kultur ist die Integration ins Arbeitsleben ein wesentlicher Bestandteil für die Selbstdefinition. Aber das ist erst seit 150 Jahren der Fall, davor waren die meisten Jahrtausende in Landwirtschaft und co. selbständig und eigenverantwortlich tätig. Und genau der Fakt, dass es sich eben schon mal geändert hat, ist doch auch der beste Beweis dafür, dass es möglich ist, nochmal eine neue (Arbeits-)Kultur, fern vom sozialdemokratischen Idealbild zu erschaffen.

Arbeiten wir in Zukunft alle selbständig?

Daher zurück zur Ausgangsfrage: Arbeiten wir in Zukunft alle selbständig? Ich hoffe, und zwar für alle Beteiligten.

Allerdings nicht zwingend im formellen Sinne. Ich glaube, für eine neue Idee der Festanstellung, die eben nicht der Komfortsessel ist, den Gewerkschaften für Arbeitnehmer fördern, wird es bestimmt Raum geben. Auch Arbeitgeber wollen sich hier und da auf ihr Team verlassen können. Doch diese neue Idee der Festanstellung muss selbständiger sein als die heutige. Vielleicht nicht mal in der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, aber zumindest in der Haltung zur Arbeit.

Da aus formalen Gründen der Begriff der Selbständigkeit zu Verwirrung führt, macht es hier vielleicht mehr Sinn von Selbstführung zu sprechen. Genau darauf kommt es an: Am Arbeitsleben selbständig, autonom und aufbauend darauf auch kritisch, kreativ und effektiv teilzunehmen. 

Photo by Bench Accounting on Unsplash

1 Kommentar

  • Hi Tobias,
    vielen Dank für Deine Gedanken und herzlichen Glückwunsch zum ersten Blog :)
    Und danke, dass Du Dich dieses Riesenthemas annimmst - gar nicht so leicht, da einen Aspekt rauszuschneiden, oder?
    Bei mir selbst rennst Du da natürlich offene Türen ein. Meinen Grad der Selbstbestimmung kann ich mir seit meines Ausstiegs aus einem klassischen Angestelltenverhältnis nicht mehr wegdenken.
    Ich bin gespannt und freue mich auf mehr!
    Tom

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